Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

      Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte



      Es war nach 20 Uhr, die ganze Stadt saß gerade mit ihren Liebsten zusammen, während ich meine Wohnungstür in Gedanken versunken aufschloss. Es war wieder einmal ein langer Tag im Krankenhaus. In der Notaufnahme interessiert es keinen, ob gerade Heiligabend ist und der Sanitäter lieber ebenso bei seiner Familie wäre.

      Nein, den Luxus gab es nicht. Während Firmen und Stadtverwaltungen einfach mal geschlossen und auch Supermärkte nicht wie üblich bis 22 Uhr geöffnet waren, war im Krankenhaus einfach ein Tag wie jeder andere. Um ehrlich zu sein, stimmt das nicht ganz.

      Die Menschen waren an den Weihnachtstagen anders. Für uns war es normal, ein abgeschnittener Daumen bleibt ein abgeschnittener Daumen, egal an welchem Datum, aber die Patienten sind einfach anders.

      Wie der große Mann, Mitte dreißig, heute Mittag. Er hatte sich beim Schmücken des Baumes blöd gedreht und war von seiner Leiter gefallen. Kein schwerer Sturz, aber es reichte für einige Blessuren. Er kam lieber rein um sein schmerzendes Bein röntgen zu lassen. Er entschuldigte sich mehrfach, dass er uns an Heiligabend mit so was belästigen würde und hatte sogar eine Schachtel Spekulatius mitgebracht.

      Wir erklärten ihm, dass es vollkommen okay sei, dass er rein kommen würde, immerhin hatte er einen Unfall und er könne die Auswirkungen eines solchen Sturzes gar nicht abschätzen.

      Ich denke gerne an solche Begegnungen zurück. Ich arbeite mittlerweile gerne an Weihnachten. Die Menschen sind dankbarer und ich bin nicht so alleine. Vor ein paar Jahren noch, da habe ich es gehasst an den Feiertagen arbeiten zu müssen. Meine Frau saß dann immer daheim und wartete auf mich mit unserer Tochter. Leider kommt man nicht immer pünktlich aus der Notaufnahme, so dass die Bescherung auch mal ohne mich stattfand.

      Ich nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und schenkte mir einen Orangensaft ein. Ich setzte mich in meinen Sessel in meinem nur von einer Stehlampe erhellten Wohnzimmer. Eigentlich war es mehr eine Wohnküche. In der kleinen Wohnung gab es nur zwei Zimmer und eine Kochnische. Es reichte für mich, denn ich war ja eh selten da. Ein Bett, ein Fernseher, ein Herd. Mehr brauchte ich nicht. Mehr konnte ich mir auch nicht leisten, mit nur einem Gehalt.

      Drei Jahre ist es nun her. Auf den Tag genau. Meine Frau war auf dem Weg zu mir, da ich mal wieder Dienst hatte. Sie wollte mich überraschen und die Bescherung einfach im Krankenhaus machen. Doch sie erreichte das Krankenhaus nicht. Ein betrunkener Autofahrer nahm ihr die Vorfahrt und sie musste ausweichen, dabei geriet sie ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Ich bekam die Meldung im Krankenhaus. Danach war ich einfach nicht mehr wie früher.
      Lange Zeit konnte ich nicht arbeiten. Ich begann selbst mit dem Trinken um den Schmerz zu vergessen, aber das machte es nur noch schlimmer. Ich hätte wahrscheinlich meinen Job verloren, aber ich war krankgeschrieben. Ich zog in diese kleine Wohnung, da das Krankengeld nicht reichte um die Miete in der alten Wohnung zu zahlen. War aber auch besser so, denn der Tapetenwechsel tat mir gut.

      Nach einiger Zeit ging es mir besser, so dass ich wieder zu Arbeiten anfing. Es war anders als früher, aber es machte mich immer noch glücklich. Das erste Weihnachtsfest nach dem Unfall war sehr hart für mich. Aber irgendwie ging es weiter.

      Es klopfte stark an der Tür. „Wo bleibst du?“, hörte ich von der anderen Seite. „Gib mir noch zwei Minuten“m rief ich zurück. Ich trank meinen Saft in einem Zug und ging ins Bad.

      Im letzten Jahr hatte sich alles geändert. Die Nachbarfamilie hatte mitbekommen, was mir widerfahren war. Sie luden mich zum Weihnachtsessen ein und schenkten mir sogar etwas. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet. Sie kümmerten sich von da an sehr um mich und halfen mir auch mit dem Trinken aufzuhören. Ich weiß nicht, wie dieses Weihnachten wäre, wenn sie nicht gewesen wären.

      Ich ging in mein Schlafzimmer und holte eine große Kiste hervor, sorgfältig in Geschenkpapier eingepackt. Ich wollte mich erkenntlich zeigen.

      Auch in unserer heutigen Zeit, wo es den Anschein hat, als wäre jeder nur mit sich selbst beschäftigt, gibt es noch Nächstenliebe, Rücksicht und selbstlose Menschen. Oder kurz: Wir haben den Geist der Weihnacht nicht verloren.


      ©Marco Golüke 11/2019