The Last Christmas

      The Last Christmas



      „Guten Morgen, New York, hier ist euer Jack von Radio WQHT Hot 97 FM. Noch zwei Tage bis
      zum großen Fest, und damit ihr in Stimmung kommt, ein echter Klassiker, Last Chr…“
      Frustriert schlug Maddie auf den Radiowecker.
      Sie hasste diese Zeit so sehr, aber dieses Jahr war es besonders schlimm. Vor genau zehn Jahren hatte Madison ihre ganze Familie bei
      einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verloren.
      Damals war sie gerade 18 Jahre alt gewesen, hatte ihre Highschool geschafft und war an der Columbia University angenommen worden. Sie
      studierte Jura, lebte ihr eigenes Leben. Weit weg von der nervigen Familie.
      Doch noch vor ihrem 19. Geburtstag sollte sich alles verändern.
      „Hallo, mein Schatz, ich habe eine Überraschung für dich. Wir kommen dich besuchen, was sagst du dazu?“
      „Mama? Was? Ihr kommt nach New York? Aber ich habe …“
      „Ach, Kleines, natürlich haben wir ein Zimmer im Hotel gebucht. Ich weiß doch, dass du keinen Platz hast.“
      „Aber ich habe Vorlesungen, die kann ich nicht sausen lassen.“
      „Jetzt sei kein Dummkopf! Wir sind schon groß und können uns auch eine Zeit allein beschäftigen. Wir sehen uns in zwei Tagen. Wir haben dich lieb, Maddie.“
      Das war das letzte Mal, dass sie mit ihrer Mutter sprach.
      Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder mussten sterben, nur weil irgendjemand nicht Autofahren konnte. Hätte dieser feige Hund angehalten
      und erste Hilfe geleistet, hätte vielleicht jemand überlebt.
      Gedankenverloren schüttelte Maddie den Kopf. Reiß dich zusammen, Madison, oder willst du an deinem ersten Tag als FBI-Agentin verheult
      sein? Toller erster Eindruck!
      Sie schaffte es keine zwei Meter weiter Richtung Badezimmer, als sie schon die nächste Erinnerung packte.
      Nach dem Tod ihrer Familie hatte sie ihr Studium geschmissen und den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen. Keiner sollte sie mit der Tragödie in Verbindung bringen. Es drehte sich alles nur um Rache. Der damalige Detective schaffte es nicht, den Fahrer zu finden. Da es zu wenig Anhaltspunkte gab, legte er den Fall zu den Akten. Maddies Weg hatte sie zuerst in die Police Academy geführt. Jetzt war sie beim FBI, das Ziel fest vor Augen. Die Akte hatte sie kopiert, Beweismittel entwendet und wenige Tage zuvor nochmals mit dem Detective gesprochen.
      „Ja, wer ist denn da? Sie haben es also tatsächlich geschafft, Madison.
      Da gratuliere ich Ihnen, obwohl mir der Grund Ihres Besuches wohl eher nicht gefallen wird.“
      „Hallo, Detective Johnson. Nein, wohl eher nicht. Aber Sie wissen, dass ich nicht anders kann.“
      „Dessen bin ich mir bewusst, was kann ich denn für Sie tun?“
      „Bitte erzählen Sie mir alles über die Ermittlungen.“
      „Da gibt es nicht viel. Es gab keine Zeugen, nur ein paar Lacksplitter, einige Glasscherben von einem Rücklicht und ein paar Blutstropfen, die
      wir niemandem zuordnen konnten.“
      „Das ist alles? Aber das kann nicht sein!“
      „Es tut mir leid, Madison. Lassen Sie es gut sein!“
      „Danke, aber noch nicht.“
      Die Dokumente lagen noch auf ihrem Tisch.
      Eine kalte Dusche sollte dich wieder in die Realität bringen. Verdammt nochmal, jetzt reicht es wirklich!
      So etwas in der Art hätte bestimmt ihre Mutter gesagt. Die Überlegung entlockte ihr ein Lachen, das jedoch sehr schnell in ein heftiges
      Schluchzen überging. Aufgelöst saß Madison in der Dusche. Ihre Vergangenheit hatte sie immer noch im Griff. Ständig kamen weitere
      Erinnerungen hoch. Kevin, wie er ihre Schuhe versteckt hatte. Ihr Vater beim Ausquetschen ihres ersten Freundes oder ihre Mutter, die jedes Jahr zu Weihnachten den weltbesten Eierpunsch servieren musste.
      Ein unüberhörbares Klopfen riss Maddie endlich aus ihren Gedanken.
      „Newcomp, bist du da?“ Abermals hämmerte ihr langjähriger Freund und neuer Kollege Carter an die Tür. „Newcomp, mach auf! Wir waren vor 15 Minuten verabredet.“
      Erschrocken kletterte Maddie aus der Dusche.
      Oh, verdammt, verdammt! Das kann doch wohl nicht wahr sein!
      „Ja, Carter ich bin da. Geh schon mal zum Auto, ich bin in ein paar Minuten unten!“
      „Beeil dich, sonst fahre ich ohne dich los!“
      In Windeseile zog sie sich an, packte ihre Sachen und rannte die Treppen hinunter. Ihre Hektik wurde jäh von einem Mann im Santa-Claus-Kostüm gestoppt. Unsanft kollidierte sie mit ihm.
      „Langsam, junges Fräulein, sonst bringt Ihnen der Weihnachtsmann dieses Jahr wohl nichts.“ Ein liebevolles Lächeln ging von ihm aus. Beschämt wandte sie sich Carter zu, um der Situation zu entgehen. In typischer Weihnachtsmannmanier ging der verkleidete Herr weiter in Richtung Mall.
      „Ha, waren nur sieben Minuten!“ Vorwitzig streckte Maddie Carter die Zunge heraus.
      „Alles wie immer, erst zu spät kommen und dann auch noch frech werden. Das nächste Mal kannst du gerne mit dem Bus fahren.“
      „Jetzt spiel nicht die beleidigte Leberwurst! Das steht dir so gar nicht.“
      „Also hast du es wirklich vergessen?“
      „Was habe ich vergessen?“
      „Ich habe heute Geburtstag, falls es dich interessiert.“
      Klasse gemacht, Maddie! Der Tag kann ja nur noch besser werden. „Es tut mir leid, Carter. Ja, ich habe es vergessen.“
      „War mir schon klar. Was ist denn in letzter Zeit mit dir los?“
      Madison gab ihm darauf keine Antwort. Die Fahrt verbrachten sie schweigend. Immer wieder ging sie die vergangenen Tage durch. Wie
      merkwürdig alles war, seitdem sie einen wichtigen Teil der Beweise nochmals von einer Bekannten in der Forensik überprüfen ließ. An Feinden mangelte es ihr dank ihrer Arbeit nicht. Ständig hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Die Eingebung, dass es mit ihrer Familie zu tun haben könnte, ließ sie nicht los.
      „Maddie? Erde an Maddie! Wir sind da.“
      „Was?“
      „Ich habe dich gerade gefragt, ob du wohl mit mir schlafen würdest.“ Ein verschmitztes Grinsen huschte über Carters Gesicht.
      „Ich … mit dir schlafen? Träum weiter, Carter! Oh, wir sind ja schon da.“
      Maddie kannte Carter aus ihrer Zeit als Detective beim NYPD. Zwar waren sie damals keine Partner gewesen, dennoch hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, um sie zu provozieren. Carter bildete in seiner Familie die fünfte Generation von Polizeibeamten in Folge, was ihm einen gewissen Vorteil innerhalb der Dienststelle gab.
      „Baker, Newcomp, in mein Büro!“, rief der Captain durchs ganze Büro. Ab heute waren Carter und Maddie Partner und bekamen gemeinsame Fälle. Sie durften sich so kurz nach der Probezeit keine Fehler erlauben. Und genau das war das Problem.
      „Newcomp, ich bekam heute Morgen einen Anruf, dass die Ergebnisse der von Ihnen eingereichten Blutprobe fertig sind. Können Sie mir vielleicht erklären, an was für einem Fall Sie arbeiten? Sie sind noch nicht einmal einen Tag hier! Soweit ich mich erinnern kann, habe ich Ihnen keinen zugeteilt.“ Captain Morris’ Stimme überschlug sich. Maddie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde, als sie vor drei Tagen um diesen Gefallen gebeten hatte.
      „Es tut mir leid, Captain, das ist ein alter Fall, der mich nicht loslässt. Sie kennen so etwas doch bestimmt auch.“
      „Ja, ich kenne das. Dennoch können Sie nicht ohne mein Wissen die Ressourcen des FBI wegen eines Autounfalls mobilisieren. Was glauben Sie denn, wer Sie sind?“
      „Captain, wenn ich auch was sagen dürfte?“
      „Nein, Carter, dürfen Sie nicht. Halten Sie Ihre Partnerin unter Kontrolle, sonst können Sie sich beide einen anderen Job suchen! Hier,
      nehmen Sie die Papiere, Newcomp! Die nächsten Tage werden Sie beide Papierkram erledigen. Nach den Feiertagen werden wir sehen, wie es mit Ihnen weitergeht, und jetzt raus aus meinem Büro!“
      Wie ein geprügelter Hund verließ Maddie den Raum.
      Du wirst immer besser, Maddie. Erst bekommst du einen Nervenzusammenbruch, dann versetzt du Carter, vergisst seinen Geburtstag
      und jetzt verärgerst du am ersten Tag deinen Chef! Immer besser!
      „Willst du mir jetzt endlich erklären, was mit dir los ist? Was für ein Fall ist das?“
      „Nein, das will ich nicht, Baker. Es tut mir leid, dass du da mit reingezogen wurdest, aber es geht dich nichts an. Bitte frag einfach
      nicht weiter.“
      „Ich kann dich nicht zwingen, aber dann kann ich dir auch nicht helfen.“
      „Ich brauche deine Hilfe nicht, Carter.“ Damit war das Gespräch für Madison beendet. Erschöpft ging sie zu ihrem Schreibtisch und widmete
      sich ihrer Arbeit. Vielleicht wäre es besser, sich einen neuen Partner zuteilen zu lassen. Jemanden, der nicht längst verschollene Gefühle
      weckte. Gefühle, die ihr zeigten, dass sie nicht allein war, dass da jemand war, auf den sie sich verlassen konnte.
      Wenn das doch nur so leicht wäre!
      Völlig fertig von dem Gefühlschaos ging Maddie nach dem Dienst zu ihrem Partner.
      „Carter, du brauchst mich nicht mitzunehmen. Ich fahre mit dem Bus. Es ist vielleicht besser, wenn wir unseren Kontakt nur auf das Berufliche reduzieren.“ Verlegen schaute Maddie auf den Boden.
      „Willst du mich verarschen? Wir kennen uns seit zig Jahren, ich habe dir beim Umzug geholfen. Und jetzt, wegen des kleinen Streits, schubst du mich weg?“
      „Nein, so ist es nicht. Es tut mir leid.“
      „Du kannst mich mal mit deinem Es-tut-dir-leid-Gefasel!“
      Maddie nahm ihre Tasche und ging. Sauer und perplex blieb Carter zurück, aber nicht lang, denn aufzugeben war nicht seine Art und diese Sache war noch nicht fertig ausdiskutiert.
      Ein paar Minuten später hatte er sie mit dem Auto eingeholt.
      „Steig ein! Ich fahre dich heim, sonst wirst du noch ein Eiszapfen, und wage es nicht, mit mir zu diskutieren!“ Ohne ein weiteres Wort ließ
      Maddie sich auf den Beifahrersitz sinken, dankbar, nicht länger dieser Eiseskälte ausgesetzt zu sein.
      „Du hast jetzt die Wahl, hier mit mir zu reden oder bei dir daheim. Ganz wie du möchtest.“
      „Genau heute vor zehn Jahren sind meine Eltern und mein kleiner Bruder bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der andere Autofahrer hat Fahrerflucht begangen, und ich versuche, den Fall aufzuklären. Das ist alles.“ Ihre Stimme war so emotionslos, als ginge es ums Wetter.
      „Warum hast du mir das nicht früher erzählt? Dann hätte ich dir helfen können“, fragte Carter sie vorwurfsvoll.
      „Weil es auch nichts geändert hätte. Es gab kaum verwertbares Material und du kannst ja auch keine Beweise herzaubern“, gab sie traurig zurück.
      „Du kannst gerne mit hochkommen. Schau dir die Akte an und du wirst sehen, dass da nichts ist, was man verfolgen könnte!“
      Das ließ sich Carter nicht zweimal sagen. Zwanzig Minuten später parkte er das Auto vor dem Haus, in dem sie wohnte. Nicht wirklich motiviert ging Maddie die Stufen zur Haustür empor, sperrte diese auf und ließ Carter den Vortritt. Mit ein paar schnellen Schritten durch den Flur stand er vor ihrem Apartment.
      „Hast du heute Morgen vergessen, deine Wohnung abzusperren?“ Im Hausflur nickte Carter alarmiert in Richtung der Wohnungstür.
      Ein Schauer lief Maddie den Rücken runter. Langsam schüttelte sie den Kopf und zog ihre Waffe aus dem Holster. Carter tat es ihr gleich.
      Vorsichtig gab Madison der Tür einen Stoß und sie glitt langsam auf.
      Ihre Wohnung glich einem Kriegsgebiet. Die Couch war aufgerissen, der Wohnzimmertisch umgeschmissen. Papiere lagen am Boden verstreut und ihr Infoboard war zerstört.
      „Was zum Teufel ist hier passiert?“ Empört schaute Carter sich um, während Maddie nur weinend am Boden kniete.
      „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was sie gesucht haben!“, schrie Maddie ihren Partner an.
      „Okay, okay!“ Carter hob abwehrend die Hände. „Lass uns die Kollegen rufen, bevor noch Spuren verloren gehen.“
      „Nein, Carter, ich möchte nicht, dass jemand hiervon erfährt. Das schaffe ich heute nicht auch noch.“ Wie in Trance begann Madison,
      einzelne Blätter aufzuheben.
      „In Ordnung, dann lass dir zumindest von mir helfen und danach reden wir.“ Innerhalb weniger Minuten hatten sie das gröbste Chaos beseitigt.
      Mit zitternden Händen gab sie Carter die zuvor besprochenen Papiere, welche er schnell überflog.
      „Das sind also alle Beweise, die du vom Unfall hast? Den Detective, der den Fall bearbeitet hat, kenne ich. Er war ein Kollege meines Vaters.
      Vielleicht kann ich mal mit ihm reden“, bot Carter an. „Ich bin mir sicher, dass sie nach der Blutprobe gesucht haben. Hast du dir schon die
      Ergebnisse angeschaut?“
      „Nein, habe ich noch nicht, und dein Angebot ist wirklich lieb, aber es würde nichts bringen. Es gibt einfach keine Anhaltspunkte.“
      „Kann ich mir die Blutanalyse mal anschauen?“
      Madison reichte ihm den Umschlag und er las den Zettel. „Carter, alles in Ordnung?“ Als er ihr keine Antwort gab, wurde Maddie nervös. „Carter?
      Was ist los?“ Das Beben in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
      „Die Ergebnisse. Sie haben einen Verwandten im System gefunden.“
      „Was? Zeig mal her! Das wäre der Durchbruch, auf den ich die ganzen Jahre gewartet habe.“
      „Ich bin der Verwandte.“ Carter ließ sich auf die Couch fallen und gab ihr die Ergebnisse.
      „Aber das muss ein Irrtum sein. Hast du nicht mal gesagt, dass es nur noch dich und deinen Vater gibt?“
      Verwirrt sah sie Carter an. Tränen stiegen ihr in die Augen, als ihr klarwurde, dass der Täter nur Carters Vater sein konnte.
      „Maddie, das kann nicht sein, niemals! Mein Vater war Cop und hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen.“ Wütend stapfte er durch die
      Wohnung. „Vor zehn Jahren starb meine Mutter im Krankenhaus und mein Vater war die ganze Zeit bei ihr.“
      „Ich wusste nicht, dass das auch an diesem Tag gewesen ist … tut mir leid. Trotz allem, ich muss herausfinden, was passiert ist. Entweder mit dir oder allein. Ich bin ein großes Mädchen und kann allein auf mich aufpassen.“
      „Nichts machst du allein! Hier geht es auch um meine Familie“, blaffte Carter sie an.
      „Ich möchte versuchen, mit deinem Vater zu reden, und zwar heute noch!“
      „Das kannst du machen, aber du weißt, dass es zu nichts führen wird.
      Sein Gedächtnis hat sich seit seiner Schussverletzung nicht mehr erholt.“ Resigniert ließ er die Schultern hängen.
      „Ich möchte es dennoch ausprobieren. Ich muss wissen, was er damit zu tun hat. Bitte, lass mich mit ihm reden!“
      Flehend suchte sie seinen Blick.
      „Okay, aber wir machen es auf meine Weise, Newcomp.“
      Es dauerte gut dreißig Minuten, bis sie bei seinem Vater waren. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Maddie aus, als sie das Haus betraten.
      Mit weit aufgerissenen Augen schrak Mr. Baker aus seinem Bett hoch, zitterte am ganzen Leib.
      „Nein, das kann nicht sein. Ich weiß, dass sie tot sind. Es war zu spät“, flüsterte er voller Angst.
      „Dad, ich bin es. Was ist zu spät? Wer ist tot? Dad, rede mit mir!“ Erschrocken packte Carter seinen Vater an den Oberarmen.
      „Carter, darf ich mit deinem Vater reden? Ich glaube, er verwechselt mich mit meiner Mutter.“
      Eine einzelne Träne lief Maddie über die Wange.
      Sie nahm einen Stuhl und setzte sich zu Mr. Baker ans Bett. Vorsichtig nahm sie seine Hand, die sich nicht beruhigen wollte.
      „Mr. Baker, ich weiß, es war ein Unfall. Sie wollten niemanden verletzten.“
      „Unfall, ja, ein Unfall. Es war dunkel und ich war zu schnell. Magret hatte Schmerzen und etwas stimmte nicht. Sie musste doch ins
      Krankenhaus. Oh, meine geliebte Magret!“ Die Stimme des alten Mannes bebte vor Trauer. „Und dann kam da plötzlich dieses Auto, ich konnte nicht bremsen. Ich schwöre, ich wollte helfen, aber meine Magret, sie blutete so stark. Da war so viel Blut und sie trug doch meine Tochter in sich.“
      Maddie wusste nicht, was sie sagen sollte. All ihr Zorn war Mitgefühl gewichen. Sie drückte leicht seine Hand. „Erzählen Sie weiter, Mr.
      Baker. Was war dann?“
      Nervös schaute er erst zu Maddie und dann zu seinem Sohn.
      „Ich rief Johnson an. Ich sagte ihm, was passiert war. Er wollte sich um alles kümmern. Ich konnte doch nicht ins Gefängnis. Meine Magret!“
      Leise fing auch er an zu weinen. „Und es war alles umsonst. Sie sind beide gestorben. Wer wäre denn dann für Carter da gewesen, wenn ich ins Gefängnis gekommen wäre? Wer?“ Kraftlos ließ er sich auf die Matratze fallen.
      „Aber wer hat meine Wohnung so auf den Kopf gestellt? Ich hatte doch keine Beweise.“ Irritiert schaute Maddie zu Carter.
      Besorgt musterte der erwachsene Sohn seinen zerstörten Vater. „Ich denke, wir sollten uns mit Johnson unterhalten. Er wird einiges zu
      erklären haben.“
      Zehn Jahre hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet, sich vorgestellt, wie befriedigend es sein musste, den Täter zu finden. Nur
      hatte diese Situation nichts mit ihrer Vorstellung gemein. Nicht nur Maddie hatte an diesem Tag ihre Familie verloren, auch Carter und seinem Vater war ein Teil genommen worden.
      Der kalte Dezemberwind hieß die beiden draußen willkommen.
      „Maddie, ich … es tut mir leid.“ Langsam näherte sich Carter ihr. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
      „Du kannst nichts dafür, und dein Vater wurde genug bestraft. Es ist okay, Carter.“ Langsam versiegten ihre Tränen. Zaghaft legte er eine
      Hand an Maddies Wange.
      Die Weihnachtszeit würde immer etwas schmerzen und sie an ihren Verlust erinnern. Doch würde Madison die Zeit in Zukunft wohl nicht mehr allein überstehen müssen.

      © Sam Winters