Auszug aus „Das Erbe“

      Auszug aus „Das Erbe“



      Ein weihnachtlicher Auszug aus dem Manuskript von „Das Erbe“, meinem derzeitigen in Arbeit befindlichen Hauptwerk.
      Unlektoriert und -korrigiert.



      Nun stand Weihnachten vor der Tür. Und Wolfgang wollte, daß es ein besonderes Weihnachten wird.
      Es sollte ein Weihnachtsfest auf Burg Tioram werden. Wolfgang hatte dafür einen Helikopter gebucht, genau genommen einen Eurocopter Dauphin AS 365N3. Damit würden sie vom Flughafen Hamburg starten, in Leeds auftanken und dann weiter zur Burg Tioram fliegen.
      Die Flugzeit würde etwa sechs Stunden betragen. Eingeladen wurden Sabines Eltern, die gemeinsam mit den Vieren, mit dem Hubschrauber nach Schottland fliegen würden, dann Fionas Eltern und die Familie des Verwalters. Wolfgang hätte auch gerne die Familie des Butlers eingeladen, doch Michael hatte keine Familie. In der Burg wurde alles vorbereitet, um ein unvergessliches Erlebnis für alle zu zaubern.
      Am 23. Dezember brachte ein Großraumtaxi Sabines Eltern, Sabine, Uwe, Fiona und Wolfgang zum Hamburger Flughafen. Dort wartete bereits der große Helikopter. Sie nahmen in bequemen Sesseln Platz und setzten die, Headset genannten, Kopfhörer mit Mikrofon auf. Diese schützten erstens vor dem Lärm des Helikopters und zweitens ermöglichten sie die Kommunikation innerhalb des Helikopters. Keiner von ihnen war jemals zuvor in einem Helikopter geflogen. So war schon das ein großes Erlebnis für alle. An Bord des Helikopters gab es Getränke und kleine Snacks. Aber keinen Bordservice, sie mussten sich selbst bedienen. Außer ihnen waren nur die zwei Piloten an Bord. Diese würden übrigens auch in der Burg wohnen, bis sie wieder zurückflogen.
      Der Flug startete in einem schmuddeligen Wetter in Hamburg und endete in einem ebenso schmuddeligen Wetter in Schottland. Von Schnee weit und breit leider keine Spur.
      Der Helikopter landete nachmittags auf Eilean Tioram unterhalb der Burg. Nachdem die Rotoren ausgelaufen waren, sicherten die Piloten den Helikopter. Dann ging man gemeinsam zur Burg hinauf.
      Es wehte ein kalter Wind. Alle fröstelten in dem feuchtkalten Wetter.
      Als das Portal zum Palas hinter ihnen geschlossen wurde, empfing die Gruppe anheimelnde Wärme.
      Staunend sahen sie sich in dem großen Rittersaal um. Der ganze Saal war wunderbar geschmückt. Ein riesiger edler Weihnachtsbaum stand mitten im Saal. Alle Kerzen auf den Kronleuchtern waren entzündet und in den Kaminen prasselte knisternd das Feuer. Sabine und Uwe assoziierten gleich die Weihnachtsszene von Hogwarts. Sie ahnten nicht, daß das keineswegs Zufall war. Das war Wolfgangs Idee.
      Bei diesem Anblick konnten sie den Heiligen Abend kaum noch erwarten.
      Butler Michael begrüßte Wolfgang und die anderen mit unverhohlener Freude. Auch der Verwalter war da und hieß alle willkommen.
      Im kleinen Saal war schon der Tisch gedeckt und es gab erst mal Kaffee und Kuchen. Danach brachte der Butler Sabines Eltern auf ihr Zimmer, als nächstes zeigte er den Piloten das Zimmer in dem sie die nächsten drei Tage wohnen konnten. Fiona und Wolfgang, sowie Sabine und Uwe gingen auf ihre eigenen Zimmer und richteten sich erst mal wieder ein.
      Auch hier knisterten die Kamine und gaben eine wohlige Wärme von sich. Die Zimmer waren ebenfalls weihnachtlich geschmückt. Da fiel Sabine plötzlich auf, daß die Fußböden warm waren. Sie fragte Michael, als er rein kam um nach Wünschen zu fragen, wieso das so war. Michael erklärte das Onkel Septimus in der ganzen Burg Fußbodenheizungen einbauen ließ. Die Kamine würden nicht ausreichen um eine angenehme Wärme in allen Räumen zu erzeugen. Ursprünglich waren Winter in Burgen eine ziemlich zugige Angelegenheit. In der ganzen Burg herrschte, zentral geregelt, eine Temperatur von 23 Grad, sowohl im Winter als auch im Sommer. Doch von der modernen Technik war nichts zu sehen. Sie hatten tatsächlich gedacht, die Kamine wären alleine für die Wärme verantwortlich.
      Der Tag ging gemütlich zu Ende. Nach dem Abendessen zogen sich alle auf ihre Zimmer zurück. Auf einen Spaziergang hatte bei dem Wetter keiner Lust, da konnte die Landschaft noch so schön sein. Doch langweilig war es nicht. Auf den Zimmern gab es auch Fernseher und Computer, allerdings konnte man diese auf den ersten Blick nicht sehen, da sie hinter Klappen und Türen verborgen waren.
      Der Abend klang gemütlich aus und es wurde still in der Burg.
      Der Morgen begann mit einer kleinen Überraschung. Uwe, der als Frühaufsteher meistens als erster wach war, sah aus dem Fenster und die Landschaft war weiß. Die Temperatur war über Nacht gefallen und es hatte geschneit. Sogar recht viel.
      Uwe zog sich an und verließ leise das Zimmer. Er wollte Sabine nicht stören die noch schlief.
      Er ging hinunter und traf auf einen der Bediensteten, dieser lächelt ihn freundlich an und sagte fröhlich: „Nollaig Chridheil!” Uwe lächelte unsicher zurück und fragte: „Äh, und das heißt?“ Der junge Mann lachte und erklärte ihm, es heißt frohe Weihnachten. Daraufhin erwiderte Uwe den Gruß und merkte sich die keltischen Worte.
      Dann setzte er seinen Weg fort und ging in den Hof. Es macht ihm Spaß durch den knirschenden Schnee zu gehen. Da kam Eoghan MacDonald von Clanranald aus den Stallungen und traf auf Uwe. Und gleich brachte er sein neu erworbenes Wissen an: „Nollaig Chridheil!” Der schottische Verwalter blickte auf und grinste: „Oh, sehr gut. Nollaig Chridheil auch von mir. Sagen Sie, können Sie reiten?” „Nun, reiten können wäre vielleicht zu viel gesagt, aber ich schaffe es, nicht sofort vom Pferd herunterzufallen.” Der Schotte brüllte vor Lachen. „Na dann, haben Sie Lust auf einen kleinen Ausritt im frischen Schnee?”
      „Ja gern, warum nicht.“ „Dann folgen Sie mir“, sagte der Schotte, drehte sich um und ging zurück zum Stall. Er gab Uwe ein Pferd und nahm selber eins aus der Box. Die Stallburschen halfen beim Aufsatteln und Aufzäumen. Sie führten die Pferde durch das Burgtor und saßen dann auf. Eoghan ritt voraus und Uwe folgte ihm. Es war keine Ebbe, aber das Wasser war flach genug, um mit den Pferden hindurch reiten zu können. Auf der anderen Seite schloss Uwe auf und sie ritten nebeneinander durch die verschneiten Straßen. Dabei unterhielten sie sich. Auch Weihnachten wurde zum Thema und Uwe fragte, wie in Schottland Weihnachten gefeiert würde. Eoghan erzählte, daß Weihnachten noch gar nicht so lange wieder in Schottland wirklich gefeiert würde, also offiziell. Im 17. Jahrhundert wurde Weihnachten von der presbyterianischen Kirche Schottlands quasi verboten. Die Feiertage wurden abgeschafft und zu ganz normalen Arbeitstagen erklärt. Dennoch feierten die Schotten weiter ihr Weihnachten, trotz Repressalien durch die Staatskirche. So richtig offiziell Weihnachten gab es in Schottland erst wieder seit circa 60 Jahren. Uwe fand das sehr interessant. Er liebte es, neue Dinge zu lernen.
      „Eoghan, ich bekomme langsam Hunger. Die anderen dürften auch langsam wach werden. Sollten wir nicht umkehren?“ Der Schotte lachte. „Du hast noch nicht gefrühstückt. Das wusste ich nicht. Aber du hast recht, lass uns umkehren. Ich habe bis heute Nachmittag auch noch eine Menge zu tun.“ „Was denn? Was hat mein Vater sich ausgedacht?“ Wieder lachte der Schotte. „Lass dich überraschen, ich verrate nichts.“ Sie wendeten die Pferde und ritten in schnellem Trab zurück zur Burg. Am Ende der Straße staunte Uwe. Dort standen jetzt mehrere Lkw, die gerade abgeladen wurden. Auch wurde bereits damit begonnen einen Steg zu bauen, mit der man die Insel auch bei Flut erreichen konnte. „Was...“, begann Uwe. Der Schotte lachte und winkte ab: „Vergiss es!“ Uwe fügte sich, er würden eben abwarten müssen.
      Sie brachten die Pferde wieder in den Stall und die Stallburschen übernahmen die Tiere.
      Uwe verabschiedete sich von dem schottischen Verwalter, mit den Worten: „Das war ein sehr schöner Ausritt. Das müssen wir unbedingt noch mal wiederholen.“ „Sehr gern, aber dann nehmen wir auch ihre Lebensgefährtin mit.“ „Unbedingt“, grinste Uwe und ging zurück in sein Zimmer und sah nach, ob Sabine schon wach war. Sie war gerade dabei sich fertig zu machen. Sie fragte ihn, wo er denn war. Uwe erzählte es ihr. „Ohne mich? Wie gemein!“ „Keine Sorge, wir machen das bestimmt noch einmal zusammen.“ „Das will ich auch hoffen“, lächelte Sabine, nahm Uwe in den Arm und küsste ihn. „So, jetzt will ich aber frühstücken, sonst verhungere ich am Ende noch“, sagte Uwe dann. Hand in Hand gingen sie dann in den kleinen Saal zum Frühstück. Dort trafen sie auf Fiona und Wolfgang sowie Sabines Eltern. Kaum hatten sie den Raum betreten, erschien Butler Michael schon wie ein Geist und fragte nach ihren Wünschen. Triumphierend wünschte Uwe zuerst einmal: „Nollaig Chridheil!” Michael zog die Augenbrauen hoch und erwiderte den Weihnachtsgruß. Fiona sah überrascht auf und grinste. Sabine und Uwe bestellten ihr Frühstück und setzten sich. Fiona fragte: „Wo hast du denn das aufgeschnappt?” „Ein Angestellter begrüßte mich heute früh auf diese Weise.“ „Aha, gut gelernt. Die Aussprache ist fehlerfrei“, lobte Fiona.
      Dann wollte Uwe mit seinem neu erworbenen Wissen über die schottische Weihnacht glänzen. Doch sein Vater meinte nur: „Weiß ich schon.“ „Ja, aber nur weil ich es dir heute Morgen erzählt habe“, warf Fiona tadelnd ein. „Okay, hast ja recht“, grinste Wolfgang. „Aber für uns ist es neu“, retteten die Seebachs die Situation. Damit war Uwe auch zufrieden und lächelte.
      Nach dem Frühstück gingen alle erst mal wieder auf ihre Zimmer. Uwe blickte aus dem Fenster und sah, daß vor der Burgzelte aufgebaut wurden und im Burghof auch große Zelte aufgebaut wurden. „Ich würde zu gerne wissen was mein Vater geplant hat.“ „Sei nicht so neugierig. Wir werden es früh genug erfahren“, sagte Sabine sanft. „Du hast ja recht, mein Schatz.“ Uwe nahm sie in den Arm und küsste sie.
      Während die beiden es sich gemütlich machten, glich die Burg einem Bienenstock. Hausangestellte und Arbeiter von außerhalb wuselten geschäftig hin und her. Das Mittagsmahl wurde auf dem Zimmer eingenommen, die kleinen Saal war wegen der Vorbereitungen gesperrt. Gegen 14:00 Uhr schaute Wolfgang herein und sagte ihnen, die Feierlichkeiten würden gegen 16:00 Uhr beginnen. Sie sollten sich dann entsprechend fertig machen, mit festlicher Kleidung.
      So vergingen die letzten Stunden. Dann wurde es langsam Zeit in den großen Rittersaal zu gehen. Dort saßen bereits einige Leute, die Sabine und Uwe noch nicht kannten. Am Eingangstor zum Palas stand ein Bediensteter mit einer Art Zeremonienstab, ebenso ein solcher stand auch an der Treppe, die Sabine und Uwe gerade hinuntergingen. Als sie unten angekommen waren, schlug der Bedienstete mit dem Stock auf den Boden. Sabine zuckte leicht zusammen. „Lady Sabine Seebach and Sir Uwe Köster“, rief der Mann. Sabine unterdrückte ein Kichern und Uwe versuchte ein Grinsen zu unterbinden. Die englische Betonung hörte sich zu komisch an. Ein anderer Bediensteter zeigte ihnen ihre Plätze. Sie setzten sich. Dann kamen Sabines Eltern die Treppe runter. Auch sie wurden entsprechend angekündigt. Als letztes schritten Uwes Vater und Fiona die Treppe hinunter. Sabine und Uwe bekamen große Augen. Sein Vater trug eine traditionelle schottische Kleidung, bestehend aus dem Kilt, nebst Sporran und Nadel, dem weißen Hemd plus Spencerjacke, den weißen Kniestrümpfen mit Strumpfband und dem Sgian dubh, einem traditionellen Messer, welches im Strumpf getragen wird. Uwe fragte sich instinktiv, was sein Vater da wohl mit anfangen sollte. Der Kilt trug das grünbasierte Tartan des Clans MacDonald von Clanranald. Neben Wolfgang bot Fiona einen atemberaubenden Anblick. Sie trug ein wunderschönes Kleid mit dem blaubasierten Tartan des Clans MacLeod. Angekündigt wurden sie als Laird Wolfgang Köster und Lady Fiona MacLeod. Als nächstes trat der schottische Verwalter durch das Portal in den Palas. Auch er bot einen atemberaubenden Anblick. Er trug einen traditionellen Féileadh Mór, zu Deutsch etwa „Gegürtete Decke“, im Tartan des Clans MacDonald von Clanranald, was natürlich wesentlich weniger überraschend war, als der Auftritt Wolfgangs.
      Dann tauchte der Butler Michael in einer prunkvollen Livree auf und sprach zu den Anwesenden: „Ladies and gentlemen, please follow me now to the castle courtyard.“ Alle Leute standen auf und gingen in den Burghof. Dort standen schon eine Menge Leute. Es waren die Bewohner der Umgebung, die zum Weihnachtskonzert eingeladen wurden. Dann hörte man Musik, die näher kam. Es marschierte die Pipes and Drums of the Royal Scots Dragoon Guards Dudelsackkapelle ein. Sie gaben ein zweistündiges Konzert mit schottischen Weihnachtsliedern. Es war eine tolle Atmosphäre.


      © Falko Mann