Show don't Tell (1)

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      Show don't Tell (1)



      Das "Show don’t tell" ist das zentrale Prinzip in der heutigen Autorenszene. Um ehrlich zu sein, gibt es da ein paar Fronten, die erstmal geklärt werden müssen. Wir haben die einen, die den Ausdruck nicht mehr hören können (zu denen gehöre ich), wir haben die Fanatiker, die alles nur nach dem SdT Prinzip bewerten (und die das Prinzip meiner Ansicht nach mit einer Regel verwechseln), dann haben wir die Neuanfänger, die später denken, sie hätten sich blamiert, weil sie den Ausdruck noch nie gehört haben.
      Und dann haben wir mich, einen, der das Prinzip von zwei Seiten kennenlernen durfte: als Schreibender und als Analytiker. In der Regel findet man oft Erklärungen, die mehr oder weniger sinnvoll oder umständlich sind, aber man findet es selten in Kombination der Analyse. Wollen wir doch heute mal diesen Weg gehen, um eine weitere Möglichkeit zu bieten, das Show don’t tell zu verstehen.
      Erst einmal zu dem Ausdruck selbst: Wörtlich übersetzt bedeutet er: „Zeige es, nenn es nicht!“ Und gemeint ist damit eine ganz einfache Sache:
      Erzählungen wären sehr langweilig, wenn wir stets direkt mit allem wesentlichen konfrontiert werden, meist mit Hilfe von Adjektiven und Adverbien. Stellen wir uns vor, unser Protagonist (Hauptfigur, Held) betritt einen Raum und trifft dort den Antagonisten (den Gegenspieler, Bösewicht). Wir lesen:

      „Als Jim das Zimmer voller tödlicher Fallen betrat, saß der böse Adrian hinter seinem Schreibtisch und bemühte sich, so wenig unheimlich auszusehen, wie er nur konnte. Jim ahnte nichts. Er trat vor, setzte sich auf den Gästestuhl und sagte: „Es freut mich, Sie kennenzulernen!“

      Wow, nicht wahr? Wir erfahren sofort, dass Adrian böse ist und dass Jim zu dumm ist, es nicht zu merken. Aber eigentlich wollten wir Jim verwegen und gerissen haben, einen Superagenten Marke 007. Und wir hätten gerne, dass Adrian wirklich unheimlich und böse ’rüberkommt’ und die ganze Szene lebendig und voller Atmosphäre ist. Hier hilft nur eins: wir müssen erzählen anstatt die Dinge beim Namen zu nennen. Das Prinzip SdT hilft uns dabei. Nehmen wir „der böse Adrian“. Und anstatt „böse“ zu sagen, stellen wir die Szene so dar, dass unmissverständlich klar wird, was wir von ihm zu halten haben. Unmissverständlich? Stopp, unmissverständlich ist beim SdT tatsächlich nichts. Denn wo immer ich die Dinge nicht direkt benenne, sondern sie umschreibe, lege ich viel Verantwortung in die Hände des Lesers. Ich nehme den Leser ernst, gebe ihm die Macht der Interpretation aber auch die Macht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Vielleicht steht unser Leser ja auf unseren Bösewicht Adrian, vielleicht verliebt sich unsere Leserin in seine BadGuy-Attitüde. Vielleicht lässt sie sich auch hinters Licht führen, genau wie Jim (wodurch die Bande zwischen Leser und Protagonist sogar noch enger wird), vielleicht hasst sie ihn aber auch direkt und zwar so intensiv wie es der Ausdruck „der böse Adrian“ gar nicht bewirken kann.

      Ok, jetzt aber Butter bei die Fische. Kommt das Prinzip in der Literatur wirklich so oft vor? Wir wollen uns mal einen x-beliebigen (am besten amerikanischen) Roman nehmen und uns anschauen, wie der Protagonist eingeführt wird. Tatsächlich werden wir zu 90% auf das Prinzip stoßen. Darf ich einen wählen? Danke. Folgt mir bitte zum Bücherregal:


      Isaac Asimov: Der Mann von drüben – ein utopischer Roman
      (übersetzt von Hansheinz Werner)

      1) Gespräch mit einem Kommissar

      Tom Baley war fast bei seinem Schreibtisch angekommen, als er bemerkte, dass R. Sammy dort stand und ihn erwartungsvoll anschaute. Die strengen Linien in Toms langem Gesicht verhärteten sich unwillkürlich.
      „Was wünschen Sie?“
      „Der Chef möchte Sie sprechen, Tom. Sofort!“
      „In Ordnung.“
      R. Sammy blieb reglos und starrte ihn an.
      „Ich habe doch gesagt: In Ordnung. Also gehen Sie schon.“
      R. Sammy machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder an seine Arbeit. Warum kann diese Arbeit nicht ebenso gut von einem anderen getan werden, dachte Baley gereizt.
      Dann trat er hinter seiner Barriere hervor und ging durch den großen Gemeinschaftsraum. Als er bei Simpson vorüberkam, schaute sein Kollege von einem Quecksilber-Registrator auf.
      „Der Boss will Sie sprechen, Tom.“
      „Ich weiß, R. Sammy hat es mir schon gesagt.“
      Ein eng beschrifteter Papierstreifen quoll aus dem Innern des Registrators, als das kleine Instrument sein ’Gedächtnis’ durchforschte und analysierte, um die gewünschte Auskunft zu geben, die in den mikroskopisch feinen Vibrationsmustern der schimmernden Quecksilberoberfläche aufgespeichert war.
      „Ich würde R. Sammy am liebsten in den Hintern treten, wenn ich nicht Angst hätte, mir dabei ein Bein zu brechen“, sagte Simpson aufblickend. „Vorgestern habe ich übrigens Vincent Barrett gesehen.“
      (...)

      Das genügt uns erst einmal. Denn um ehrlich zu sein ist hier schon sehr viel passiert, was man ohne Probleme – und oft als Anfänger – mit nur zwei, drei Sätzen erledigt und zerstört hätte. Schon in den ersten Sätzen wird uns klar, dass Tom Baley unsere Hauptfigur ist. Als er sich seinem Schreibtisch nähert, beginnt die Handlung. Wir erleben die Erzählung aus seiner Perspektive und daher hat er es nicht nötig, den Leser über Hintergründe aufzuklären. Erst im Laufe der Story werden wir erfahren, dass alle Figuren, die mit R. beginnen in Wahrheit Roboter sind. R. Sammy heißt in Wahrheit Roboter Sammy, aber ganz ehrlich: auch wenn es nicht da steht, wir wissen, dass etwas mit der Figur nicht stimmt.
      Baleys Gesicht verändert sich, als er das erwartungsvolle Gesicht R. Sammys anschaut. Um genau zu sein: es verfinstert sich. Und das nach perfekter SdT Manier:
      Die strengen Linien in Toms langem Gesicht verhärteten sich unwillkürlich.
      Offenbar mag Tom Baley diesen R. Sammy nicht. Und zwar auf einer sehr tiefen „unwillkürlichen“ Bewusstseinsebene. Es ist tief empfundene Antipathie, gegen die der Protagonist nichts machen kann. Die Chemie stimmt nicht. Und von daher hören wir regelrecht das barsche „Was wünschen Sie?“ und der Autor muss uns nicht sagen: „Tom war verärgert, R. Sammy zu sehen“ oder „barsch fuhr er ihn an“. Die Antipathie wird sogar gesteigert, weil R. Sammy nicht adäquat reagiert. Auf das „In Ordnung“ reagiert er überhaupt nicht und starrt einfach nur (später werden wir rückblickend erkennen, dass der Roboter keinen Befehl erhalten hat und dadurch eine soziale Handlung hätte erraten müssen, was er nicht konnte). Wir sehen dem Konflikt zu, wie er sich zuspitzt:
      „Ich habe doch gesagt: In Ordnung. Also gehen Sie schon.“
      Wir sehen, das es Tom Baley gleichgültig zu sein scheint, was R. Sammy über ihn denkt. Entweder ist Tom R. Sammy hierarchisch übergeordnet, oder er hält sich für etwas besseres oder er ist einfach nur ein unhöflicher Klotz. Und mit dem sollen wir Sympathie empfinden? Es wird Zeit für die Aufklärung:
      „R. Sammy machte auf dem Absatz kehrt (...) Warum kann diese Arbeit nicht ebenso gut von einem anderen getan werden, dachte Baley gereizt.“
      Erst später und wieder rückblickend soll uns bewusst werden, dass dieser Satz absichtlich doppeldeutig formuliert ist. Von einem anderen meint hier tatsächlich von einem anderen „Wesen“, nämlich einem Menschen. Und wenn wir später erfahren, dass R. Sammy ein Roboter ist (wir erfahren es, wenn Simpson ihm nicht in den Hintern treten will) und dann sogar hinzugefügt wird, dass R. Sammys Job noch vor kurzem von einem echten Menschen erledigt wurde, ist das Bild komplett.

      Ich breche hier ab, obgleich noch einiges mehr in dem kurzen Absatz steckt. Der Trick, warum so viel hier verborgen ist, liegt darin, weil sehr wenig genannt, aber alles erzählt wird. Um ehrlich zu sein, wird hier meisterhaft erzählt, indem so wenig als möglich, aber so viel als nötig gesagt wird. Wir erfahren zum Beispiel nur ein einziges Mal, dass Baley „gereizt“ ist und das zu einem Augenblick, wo wir es als aufmerksame Leser nicht mehr erfahren müssten. Die ganze Passage ist ohne emotionsgeladene Adjektive erzählt. Und doch spüren wir, wie Baley sich fühlt und ahnen, was er für eine Art Mensch ist. Genauer wird das noch im Laufe der Geschichte. Der Autor hat 188 Seiten Zeit, diesen Menschen in einer außergewöhnlichen Lage zu charakterisieren und sogar seinen Charakter zu verändern. So viel sei gespoilert: Am Ende werden er und R. Sammy nicht nur Partner, sie werden auch beste Freunde.

      Show don’t tell heißt, der Erzählung zu vertrauen, eine Sache spannend und erlebnisreich wiederzugeben. Aber Vorsicht sei geboten! Der amerikanische Markt – insbesondere die Schreibschule Creative Writing – hat meiner Ansicht nach so viel von der Strategie Gebrauch gemacht, dass viele das SdT bereits als langweilig empfinden. In jedem Hollywoodfilm wird die Hauptfigur durch das SdT eingeführt (vorbildhaft in dem Filmklassiker Indiana Jones. Schauen Sie es sich einmal an, nur den Anfang des ersten Teils. Und sie werden noch ehe sie die Person einmal komplett gesehen haben, eine konkrete Vorstellung von ihm haben, versprochen!). Inzwischen gibt es so viele Klischees, um Figuren zu charakterisieren, dass kaum noch Luft zum kreativen Atmen bleibt.
      Ich persönlich mag das SdT als Grundlagenprinzip des Erzählens. Man sollte es beherrschen, damit man anständig erzählen kann. Aber man sollte nicht alles durch SdT zu lösen versuchen. Die moderne Literatur – auch die deutschsprachige – hat ein paar sehr nette Varianten zum SdT. Etwas das Schildern, die Symboliken, die Ikonizität, aber auch die Adjektive und Adverbien. Zu den Alternativen werden wir bei Gelegenheit kommen. Aber erst einmal ein paar nette Übungen zum Show don’t tell.