Show don't tell (2) - Charakterisieren von Räumen

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      Show don't tell (2) - Charakterisieren von Räumen



      Hiermit gestehe ich: bei keinem Buch habe ich mehr über das Erzählen gelernt als bei Rebecca, von Daphne du Maurier.

      Ich fühlte mich bedeutend wohler, nachdem ich meinen Hut und meinen lächerlichen, kleinen Pelzkragen abgenommen und beides zu meinen Handschuhen und der Handtasche auf die Fensterbank geworfen hatte.

      Die Protagonistin erzählt die Geschichte aus der Zukunft heraus. Sie ist eine auktoriale Ich-Erzählerin. Sie möchte die Geschichte loswerden, wie sie ihren Mann kennenlernte, wie sie sich in ihn verliebte aber viel mehr: wie der Geist seiner toten Exfrau das Klima auf Schloss Manderley vergiftete. Ich weiß, ich weiß: viele sagen, dass Rebecca ein Liebesroman sei. Aber für mich las es sich wie ein fantastischer Horrorroman. Die Stimmung ist gedrückt und unheimlich und sie beginnt mit dem Ende. Wir Manderley kennen im ersten Kapitel, da liegt es in Trümmern. Dann setzt sie an, wie es zum Brand kam und immer wieder mischt sich Wehmut und Schmerz in ihre Erzählung. Auf Seite 104 (meiner Ausgabe) betritt sie Manderley zum ersten Mal, ihre ersten Eindrücke sind überwältigend, sie fühlt sich klein und unwohl und so zieht sich zurück in ein eigenes, kleines Zimmer. So voll ist sie von Emotion, dass sie dieses Refugium noch nicht einmal beschreiben kann. Zuerst muss sie den Hut, den Pelzkragen, Handschuhe und Handtasche ablegen, dann – entledigt aller Insignien des neuen adligen Lebens – kann sie sich dem Raum widmen:

      Es war ein geräumiges, behagliches Zimmer, in dem wir uns befanden, dessen Wände ringsum bis unter die Decke hinter dichten Bücherreihen verschwanden, ein Zimmer, in dem ein Junggeselle sein Leben verbringen konnte, mit schweren Sesseln vor dem großen, offenen Kamin und Hundekörben, die allerdings nur selten benutzt zu werden schienen, denn die Sessel wiesen verräterische Vertiefungen auf. Die hohen Fenster boten einen freien Blick auf die Rasenflächen und weit dahinter auf das ferne Glitzern des Meeres.

      Die Beschreibung beginnt subjektiv mit zwei Adjektiven, die die Wirkung auf die Protagonistin ausdrücken sollen. Das wichtig hier, weil es im Kontrast stehen soll zu ihrem allerersten Eindruck ein paar Seiten zuvor: „Die lange Fahrt hatte ein leichtes Übelkeitsgefühl in mir hervorgerufen und mich fröstelte; ich tastete nach dem Türgriff, und als ich noch daran herumfingerte, kam der Hausmeister die Treppe heruntergeeilt, gefolgt von einem Diener, und riss den Wagenschlag auf.“
      Dieses unangenehme Gefühl scheint nun in dem Refugium komplett verschwunden zu sein. Das Geräumige des Zimmers, die Behaglichkeit sprechen für eine angenehmere Atmosphäre. Und dass das Zimmer geräumig ist, zeigt der hypotaktische Satzbau, welcher Nebensatz an Nebensatz häuft, Eindruck an Eindruck, vom Allgemeinen zum Besonderen: die Wände, die hinter Bücherregalen verschwinden; eingeworfen, die subjektive Interpretation (die sich als falsch herausstellen wird), dass es das Zimmer eines Junggesellen sei, die schweren Sessel, die Hundekörbe, die lädierten Sessel. Es endet mit den hohen Fenstern und den Ausblick auf die Rasenfläche und das Meer. Dass das Meer ein Attribut erhält (das Glitzern) und der Rasen nicht, liegt in der Story begründet. Das Meer ist von zentraler Bedeutung für die Auflösung der Erzählung.

      Dem Zimmer haftete ein eigener, angenehm dumpfiger Geruch an, als verändere sich die Luft in ihm nur wenig, trotz all des süßen Duftes von Flieder und Rosen, der im Sommer hier eindrang. Jeder Luftzug, der in dieses Zimmer gelangen mochte, ob nun vom Garten oder von der See her, büßte hier schnell seine Frische ein und wurde ein Teil des sich stets gleichbleibenden Raumes, eins mit den Büchern, muffig und verstaubt, eins mit der geschnitzten Decke, den dunklen Paneelen, den schweren Vorhängen.

      Fühlte sich die Protagonistin nicht eben noch wohl? Was geschieht? Muss die Stimmung von Leichtigkeit zu Schwermut wechseln? Ein höchst merkwürdiges Bild, nicht wahr: Einerseits haben wir es wohl mit einem magischen Ort zu tun, einem, der ein Eigenleben besitzt, denn die Atmosphäre des Zimmers ist mächtig genug, die Welt regelrecht zu verschlucken. Hier ist nichts frisch, wir befinden uns in einem Konservierungszimmer, inmitten von Muffigkeit (was wir doch gewöhnlich mit Enge assoziieren, wenn ich nicht irre), Staub und Schwere. Sie muss es nicht explizit sagen, aber das Spiel aus Leichtigkeit und Wehmut, lässt uns den Raum sehr bildlich werden, mit dem Licht und Schatten spiel: Licht durch die offenen Fenster, Schatten durch die schweren Vorhänge, die dunklen Paneelen. Aber das Bild wird kräftiger von der Protagonistin gezeichnet. Zu wichtig ist es ihr, die Atmosphäre darzustellen, deshalb verzichtet sie auf weitere Details und konzentriert sich lieber auf die Atmosphäre. Womit assoziiert sie denn den Raum?

      Es war ein alter, würziger Moosgeruch, der Geruch einer stillen Kirche, in der nur selten ein Gottesdienst abgehalten wird, in der die rostbraune Flechte zwischen den Steinen wächst und der Efeu sich vor den Fenstern rankt. Ein Raum des Friedens, ein Raum der Besinnlichkeit.

      Mit diesem Abschlussbild endet die Raumbeschreibung. Und man muss sagen: nein, hier wurde nicht beschrieben, es wurde charakterisiert. Und wie merkwürdig ist es, diese Charakterisierung der Bibliothek mit einer viel detaillierteren Beschreibung eines anderen Ortes abzuschließen?
      Der Geruch des tatsächlichen Zimmers ruft in der Protagonistin einen völlig fiktiven Ort hervor: eine Kirche. Und nicht irgend eine. Der Geruch ist es, der das Bindeglied beider Orte herstellt – der Geruch einer Kirche, der nur selten ein Gottesdienst abgehalten wird. Ich bin mir sicher, dass wir alle genau wissen, wovon die Protagonistin spricht. Wir alle waren bestimmt schon einmal in einer kleinen Kapelle wie die, von der sie da spricht. Wir alle können uns diesen Geruch vorstellen, haben ihn vielleicht sogar in der Nase. Und der Grund dafür ist nicht, dass sie ihn so wundervoll beschrieben hat. Im Gegenteil: Sie beschreibt überhaupt nicht den Geruch, sondern den völlig erfundenen Ort. Hier haben wir Efeu, Rost, Flechte, staubige Steine. Wir verknüpfen beide Orte – die Bibliothek und die Kirche miteinander im Kopf – und wir müssen zu dem gleichen Ergebnis kommen wie die Erzählerin: Ein Raum des Friedens, ein Raum der Besinnlichkeit. Dieser Abschluss aus einem elliptisch geprägten Parallelismus fasst alles zusammen, was wir bisher erfahren haben. Eigentlich, könnte man meinen, komplett redundant. Warum sagt sie es noch? Nun: weil sie damit das Parallelbild der Kirche abschließt und wieder zurückführt auf die Bibliothek. Weil es nicht nur der Geruch ist, der an die Kirche erinnern lässt. Wovon genau spricht sie denn, wenn sie „Ein Raum“ sagt. Sie kann nur von dem echten Zimmer reden. Der Geruch löste die Assoziation aus, die Assoziation dagegen die empathische Erkenntnis, was dies für ein Zimmer, vielleicht sogar für ein Haus ist: Eine verfallene Kirche. Hier wird besinnlich einer Vergangenheit bedacht. Ein Raum des Friedens soll es aber nicht werden, wie sich herausstellt – wir ahnen es bereits, haben wir doch auch die Schatten gesehen, die von den schweren Vorhängen ausgehen, nicht wahr? - und es heißt ja auch nicht „Ein Raum der Friedlichkeit“, es heißt „Frieden“, so wie in „Ruhe in Frieden“, so wie bei Beerdigungen.
      Ganz Manderley ist eine konservierte Beerdigung. Und wie die Protagonistin noch herausfinden wird: für einige ist sie der ungebetene Gast, der die tägliche Zeremonie stört.