"Schatz, lass uns reden!" - harmonische, gute Dialoge? Kein Problem

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      "Schatz, lass uns reden!" - harmonische, gute Dialoge? Kein Problem


      Ich behaupte, wenn der Plot das Knochengerüst der Story ist, dann sind Dialoge die Muskeln. Interessanterweise kann man sich gute Stories komplett ohne Dialoge vorstellen und interessanterweise umgekehrt auch verdammt gute Erzählungen, die nur aus Dialogen bestehen. Ja, ehrlich. Wir nehmen einen einfachen Plot:
      Mann trifft Frau, verliebt sich in sie, sie aber nicht in ihn. Er versucht sein Glück und sie lässt ihn abblitzen. Ein ordentlicher 0815-Plot, schon tausendmal gehört und erlebt. Erzählenswert wird er höchstens durch die Details. Oder durch den Dialog.
      In ihm drückt sich der Charakter der Figuren aus, in ihm entwickeln sich die zwischenmenschlichen Konflikte, in ihm findet die Entscheidung statt, durch ihn blicken wir in die Gefühle der Figuren hinein und last but not least: er kann uns auch als Mittel des SdT dienen.
      Und dann kommt noch die große Crux hinzu: schreiben wir ihn authentisch, müssen wir so schreiben, wie die Menschen reden, wir drohen das Feld der Literatur zu verlassen, weil wir authentisch sein wollen. Und doch dürfen wir nicht so schreiben, wie die Menschen reden, müssen ihn literarisieren, weil wir sonst in die Langweiligkeit und Beliebigkeit abrutschen.
      Man kann es gern mal als Experiment wagen und einen wirklich stattfindenden Dialog mit der Ehefrau, dem Ehemann, dem Nachbarn oder dem Verkäufer in der Metzgerei anschließend verschriftlichen und man wird feststellen: so wird das nichts.
      An den Dialogen erkennt man den guten Schriftsteller, nicht den Erzähler, den Schriftsteller!
      Der erste Trick besteht darin, dass wir überall Uneindeutigkeit reinbringen. Niemals sollte man das schreiben, was die Figur denkt. Zum Beispiel:

      „Hallo Schatz, ich liebe dich.“
      „Danke, ich dich auch.“
      „Ich hab den ganzen Tag im Büro an dich gedacht.“
      „Oh, das ist schön. Ich habe viel zu tun gehabt. Da war keine Zeit, an dich zu denken. Aber ich hab an dich denken müssen, als ich fertig war mit dem Papierkram.“
      „Ach Schatz, bist du süß.“
      „Ja, nicht wahr?“

      Ok.
      Das war eine sehr direkte Art zu reden und wer weiß, vielleicht gibt es Menschen, die wirklich so reden. Vielleicht gibt es Geschichten, in denen man einmal wirklich heile Welt zeigen möchte, bevor alles den Bach runter geht.
      Nur, ganz ehrlich: dieser Dialog wäre so langweilig, dass man sich wünscht, der Schatz würde fremdgehen oder die Welt werde von Aliens aufgefressen. Dann doch lieber etwas Uneindeutigkeiten:

      „Ich bin wieder zu Hause!“
      „Was, jetzt schon?“
      „Sag nur, du freust dich nicht?“
      „Es ist nur ... ich hab dich nicht vor sieben erwartet!“
      Mit verstellter Stimme: „Wirf deinen Lover lieber schnell aus dem Fenster.“
      „Sei nicht albern.“
      „Dann sag schon, was ist los?“
      „Was soll den los sein?“
      „Ich finde, du siehst so komisch aus. Ich kenn dich doch. Ich kann dir an der Nasenspitze ablesen, dass du ein schlechtes Gewissen hast, also ...?“
      Seufzend nimmt sie ihn an der Hand und führt ihn ins Nebenzimmer:
      „Ich wollte dich mit einem Essen überraschen. Leider bin ich nicht fertig geworden.“

      Das ist noch weit von einem ordentlichen Dialog entfernt, aber wir nähern uns. Der Vorteil hier ist, dass niemand direkt ausspricht, was er wirklich meint. Der Leser bleibt ein wenig im Dunkeln, er rätselt mit und damit bleibt er bei der Stange. Was ist aber das Problem, warum ist der Dialog trotzdem nicht gelungen?
      Zum einen ist der Dialog immer noch sehr plump. Er orientiert sich doch noch an der Art und Weise, wie man im Alltag spricht. So sieht man zum Beispiel oft die Verwendung von „Ich“ am Satzanfang, was einem beim Hören vielleicht nicht auffällt, beim Lesen jedoch schon.
      Das zweite Problem dieses Dialogs ist der Konflikt. Auch Harmonie lebt vom Konflikt. Das klingt merkwürdig, aber gemeint ist folgendes: Durch den Kontrast zu einem Konflikt wird die Harmonie verstärkt. Sagen wir, ich möchte unbedingt ein harmonisches Paar darstellen und zeigen, dass bei diesem Paar alles so perfekt ist, dass es gar keine Konflikte gibt, dann wirkt diese Harmonie umso stärker, wenn es einen von ihrer Beziehung unabhängigen Konflikt gibt, der die Pärchenharmonie nicht stören kann. Wir demonstrieren die Stärke der Harmonie dadurch, dass sie weiter existiert, obgleich es Möglichkeiten genug gäbe, dass sie zerbricht. Stellen wir uns wieder vor, einer der beiden – sagen wir die Frau – kommt nach Hause und der Mann hatte vor, sie romantisch zu überraschen:

      „Schatz, ich bin wieder zu Hause!“
      „Was, jetzt schon? Ist alles in Ordnung?“
      „Seh ich so aus, als ob alles in Ordnung wäre?“
      „Jeff?“
      „Wer sonst! Er führt sich auf wie ein Tyrann. Die ganze Woche schon hackt er auf mir rum. Verdammter Idiot.“, sie wirft ihre Tasche in die Ecke, dann bemerkt sie, dass er immer noch im Türrahmen steht.
      „Was ist denn mit dir los? Ein wenig Trost wäre jetzt angebracht.“
      „Tut mir Leid. Warte, ich komm zu dir, ich muss erst noch was erledigen.“
      „Alles klar. Mach du. Ist ja nicht so, als ob wir auf mein Geld von diesem dämlichen Job angewiesen wären.“
      Aus dem Nebenzimmer ruft er: „Komm schon, so schlimm wird es schon nicht sein.“
      „Hättest dabei sein müssen. Jeff hat eine seiner berühmten Explosionen gehabt.“
      „Hat er dich angeschrien?“
      „Fast. Die Spitzen waren deutlich. Er hat gefragt, was man heutzutage so bei der Ausbildung lernt. Ob da auch etwas dazugehört, was mit der Arbeit zu tun hat.“
      „Ein Arschloch!“
      „Sag ich doch. – Aber jetzt mal im Ernst: Was treibst du denn da? Wärst du so lieb, und bleibst wenigstens im selben Zimmer mit mir, wenn ich meinen Frust ablade?“
      „Gleich.“
      „Gottverdammt, Mike. Ich bin den ganzen Tag angegangen worden, ich hab jetzt keine Lust, von dir auch noch ignoriert zu werden!“
      „Schatz –“
      „Mike! Ich erwarte ja keine Fußmassage, aber dass du einfach nur hier bei mir sitzt, und dir anhörst, wie ich über Jeff schimpfe.“
      „Scha-atz -?“
      „Dann hätt ich dich auch von unterwegs anrufen können, Mike.“, sie drückt sich energisch aus dem Sessel, geht ihm hinterher: „Sieh nur, was du angerichtet hast: Jetzt komm ich sogar zu dir, um zu -“
      „Happy Valentine.“, er steht vor einer reich gedeckten Tafel mit weißen Rosenblütenblättern und sie starrt ihn einfach nur an.
      „Ja“, sagt er. „Ist ein mieses Timing. Jeff ist ein Arsch. Jeff ist dein Boss. Er herrscht über dich so lange du auf der Arbeit bist. Aber er beherrscht nicht den Rest des Tages. Er hat keine Macht über St. Valentine. Kein Jeff der Welt, kein Arschloch-Mega-Faktor dieses Universums kann den Rest dieses Tages und den Beginn unseres Valentine-Wochenendes zerstören. Du – und ich. Und damit das gelingt. Bitte:“, er reicht ihr einen Briefumschlag. Darin ist ein Zettel, worauf nur ein Wort steht: „Jeff“. Sie sieht ihn fragend an.
      „Zerreiß ihn, verbrenn ihn, zerschredder ihn, was immer du willst. Und dann ist Jeff für dieses Wochenende nichts als ein dummer Traum. Und das einzige, was dann noch zählt, steht auf keinem Papier.“
      Sie zögert, dann wirft sie den Zettel hinter sich und fällt ihm küssend um den Hals.

      Besser? Ja, nicht perfekt, aber besser.
      Was jetzt noch schlecht ist, steckt im Detail und in dem, was nicht im Dialog steckt, sondern drum herum. In dem „sagt er“, „meint sie“, und so fort. Aber das ein andermal.

      Schreib-Challenge:

      Liebe ist immer etwas Tolles, Kitschiges. Aber echte Männerfreundschaften können auch voller Harmonie stecken. Wie kann ein perfekter Dialog eine vollkommen harmonische Männerfreundschaft ausdrücken?
      Mal gucken, wie oft du ein Auge zudrückst , bei dem, was jetzt folgt :D


      „Fucking Robert!“, schrie Jens. „Hier, lies dir einfach ihre letzte Nachricht durch.“
      „Größere Wohnung, mehr Geld, schnelleres Auto, dickerer Schwanz“, murmelte Daniel. „Okay, das ist hart. Heute Abend frustsaufen? Der Pub an der Marktkirche hat bestimmt auf.“
      „Ist doch erst Montag. Das geht doch nicht, oder?“
      „Wir sind Männer! Wir sind Helden! Wir können saufen, wann wir wollen! Und wenn wir uns Bier von der Tanke holen und auf die Parkbank setzen.“
      „Aber es ist mein Frust und nicht deiner.“
      Daniel lachte. „Das ist mir doch egal. Dein Frust ist mein Frust. Das war schon immer so.“
      „Hast recht. Wie läuft's eigentlich mit Lisa?“
      „Lisa? Hieß sie so?“
      „Das weißt du nicht mehr?“
      „Nee, aber du ganz offensichtlich. Weißt du, was dein Problem ist?“
      „Erleuchte mich.“
      „Du verliebst dich gleich in die Frauen. Du lernst sie kennen und verliebst dich. Und dann, wenn du sie wirklich haben willst, wird den Frauen dein administrativer Notstand bewusst. Und weißt du auch, warum sie das merken?“
      „Erleuchte mich erneut.“ Antwortete Jens deutlich genervt.
      „Du bist einfach jederzeit verfügbar“, sagten beide unisono.
      „Ha, siehst du! Du weißt es doch! Mann, dann sei einfach nicht verfügbar.“
      „Mit deinem Schönlingsgesicht ist doch eh alles möglich, du hast leicht Reden.“
      „Jetzt hör aber auf! Ich war ein dreißigjähriges Milchgesicht, bis die Falten kamen.“
      „Fucking Falten!“
      „Nee! Fucking Robert!“, sagte Daniel, als sie vor den Bürotüren ankamen.
      „Heute Abend sind wir Parkbankhelden.“
      Administrativer Notstand???
      wie geil ist das denn?!
      was ein cooles Clientel uns hier begegnet!
      zerpflückt wird hier wenig, nur der Anfang erscheint recht harmonisch und direkt. Aber die mangelnde Uneindeutigkeit zu Beginn wird wett gemacht durch die kreative Nachricht, die höchst kryptisch und doch vielsagend ist! Sehr geil.