Schreibregeln, über die niemand streitet. Nicht mal andere Autoren.

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      Schreibregeln, über die niemand streitet. Nicht mal andere Autoren.



      Autoren sind Künstler, nicht wahr? Und Künstler sind dafür bekannt, dass sie gerne Regeln brechen. Kein Wunder also, dass wenn jemand eine Schreibregel raushaut, es sofort regen Widerstand gibt. Deshalb sollte man erst einmal grundsätzlich zwei Dinge unterscheiden: Nicht alle, die Schreibregeln sagen, meinen das auch. Statt dessen meinen sie Schreibstrategien. Denn letztlich geht es den meisten beim Schreiben um das Gelesenwerden. Und die Leute, die lesen, wollen meistens unterhalten werden. Daher braucht es handfeste Strategien und Tipps, wie einem das unterhaltsame Schreiben gelingt. Aber vielleicht sollten wir mit unseren Ausführungen noch einen Schritt vorher anfangen.

      Seit jeher streiten sich Autoren darüber, was gute Literatur ist. Dabei verfassen sie sogenannte programmatische Schriften. Sie entwerfen ein Programm – oder auch „Rezepte“ – wie ein gutes Werk auszusehen hat. Gemeint ist bei diesen programmatischen Schriften aber stets das Ziel der Literatur und selten der Weg dorthin, sprich: die Erzählstrategien. So ist in der Barockzeit ein programmatischer Text ein solcher, der hervorhebt, was Literatur in der Barockzeit bewirken soll: erbauen, belehren, religiös ermahnen. In der Aufklärung soll Literatur bilden, in der Klassik soll Literatur den edlen Menschen bilden, in der Romantik ist Literatur eine Religion, im Vormärz soll Literatur politisch sein und so fort. Sicherlich gibt es Regelpoetiken, das sind Werke, die einem Techniken und Strategien des Erzählens verraten. Die älteste ist die von Aristoteles mit Namen „Poetik“ (es gibt noch eine zweite von ihm, die aber mysteriöserweise verschollen ist; wer im Besitz derselben ist, möge sich bitte an mich wenden, ich hätte Interesse, sie einmal kurz zu studieren!).
      Studiert man diese Regelpoetiken, findet man schnell heraus, dass tatsächlich jede Epoche ihre eigene Vorstellungen davon hat, was gute Literatur ausmacht. Es gibt Epochen wie die Weimarer Klassik, in welcher „unterhaltsames Schreiben“ verachtet wurde und die lyrische Form als höchste Kunst gewertschätzt wurde. Wer Sturm und Drang liest, stellt fest, dass man sich bemüht an der Ausdrucksart des mündlichen orientiert, im Naturalismus treibt dieses Bemühen regelrechte Unkünstlichkeit als Bemühen. Hier wird geschrieben, wie man spricht, und wenn das Mundart heißt, dann eben Mundart.
      Worüber keine einzige Epoche schreibt ist genau das, was die heutigen Anfänger in der Schriftstellerei interessiert: Wie schreibt man unterhaltsam?
      Hierfür gibt es die Schule des amerikanischen Creative Writing, in welcher tatsächlich Strategien herausgearbeitet wurden und bis heute praktisch umgesetzt werden. Mit dem Ergebnis, dass ein Baukastensystem des Schreibens vorliegt, welches Gefahr läuft, einen großen Einheitsbrei zu kreieren.
      Tatsächlich lesen sich viele Bücher recht ähnlich und kennt man die Grundregeln des Creative Writings, kann es sogar passieren, dass einen jedes einzelne Werk dieser Schule zu langweilen beginnt, weil man nach zwanzig Seiten genau weiß, wie das Werk endet.

      Tatsächlich ist das Creative Writing gar nicht mehr das Ende der Geschichte. Inzwischen gibt es neue Richtungen. Umberto Eco zum Beispiel formierte für Europa die Epoche des Postmodernen oder Strukturalismus. Es gibt dekonstruktivistische Literatur, .... das letzte programmatische Werk, das mir in die Hände gefallen ist, ist von David Shields und trägt den Titel „Reality Hunger – ein Manifest“. Provokanterweise geht es um eine extremere Variante des Postmodernen und wenn ein Werk gesucht wäre, das diesem Manifest entspricht, dann würde ich Axolotl Roadkill nennen.

      Je nachdem, welcher Schreibschule man angehört, wird man jetzt auf andere Tipps und Tricks stoßen. Die einen werden einem sagen: du musst unterhaltsam schreiben, orientier dich also bitte am Creative Writing. Andere werden sagen: Unterhaltsames schreiben muss mit Bildung gepaart werden. und wiederum andere: Jeder wird ja auf eine andere Art unterhalten, deshalb musst du pluralistisch schreiben, oder oder oder.

      Gibt es aber letztlich Regeln, denen alle zustimmen würden?

      Ja, tatsächlich gibt es die. Zumindest, wenn man unter „alle“ nicht wirklich „alle“ versteht, sondern ein vernünftiger Großteil.
      Meiner Ansicht nach, gibt es keinen, der vernünftig gegenargumentieren könnte, wenn ich behaupte:

      (1) Schreibe nur über das, womit du dich auch auskennst.

      Nehmen wir als Beispiel, eine alte Frau, die gerne einen Kriminalroman schreiben möchte. Sie hat ihr Leben lang in einem Bauernhaus gelebt und ihr leben Lang nur gestrickt und sich mit Schafen und Kühen beschäftigt. Sie schreibt ihren Krimi und lässt dabei einen gut aussehend blonden Mann ein junges Mädchen mit einem Maschinengewehr erschießen. Die Kugel, schreibt sie, gehe direkt ins Herz des Mädchens. Und sie ist stolz, denn dieses Bild ist so romantisch und symbolisch und überhaupt toll, dass sie ganz entrüstet ist, als ihr jemand sagt, ihr Buch sei schlecht, denn ein Maschinengewehr schieße nicht unbedingt nur eine Kugel ab und zielgenau ins Herz treffen, das sei schlicht unmöglich und in der Gegend, in der die Geschichte spielt, habe es auch seit tausend Jahren keinen blonden Mann mehr gegeben.
      Die gutmütige Frau hat keine Chance sich zu retten. Denn ihre schöne Geschichte steht gegen den Realismus der Dinge. Wenn die Regel nun von „auskennen“ spricht, soll das nicht heißen, sie müsse losziehen und sich eine Waffe kaufen. Aber sie hätte deutlich weniger Rechercheaufwand, wenn sie einen Roman über Kühe, Schafe und das langweilige Landleben schreiben würde, das durch die Ankunft einer Diva herzlichst gestört wird. Denn die Regel 2 lautet:

      (2) Geschichten gibt es überall.

      Wer schreiben will, steht mit der Regel 1 gern auf Kriegsfuß. Da hat man eine super Idee über einen Mord im Fußballstadion bei der Weltmeisterschaft, aber man interessiert sich nun mal nicht für Fußball und hat keine Ahnung, wie viele Schiedsrichter es auf dem Platz gibt. Also wirft man frustriert das Handtuch und oft hört man den Satz: Ich weiß nicht, was ich sonst schreiben soll! In meinem Leben passiert ja nichts.
      Dem halte ich einen sehr netten Witz entgegen: Stephen King wird zu seinem Verleger gerufen. Der Verleger fragt, wann er wieder ein neues Buch zu erwarten habe und King denkt: Shit, ich hab vergessen, dass ich dieses Jahr noch kein Buch geschrieben habe. Kurzerhand antwortet er: „Nächste Woche.“
      „Und worum geht es?“
      King sieht sich um, er sieht eine Schreibtischlampe und sagt: „Eine Schreibtischlampe, in deren Umfeld alle Leute sterben.“
      Den Witz versteht man, wenn man mal die Klappentexte von King studiert: Mal ist es ein Auto, mal ein Hund, mal Fernseher, ja sogar ein Rasenmäher und eine Wäschemangel werden auf unheimliche Art dämonisch und töten Menschen. Der Witz besteht darin, dass King eine Sicht auf die Dinge hat, die es ihm erlauben, Unheimliches in Alltagsgegenständen wahrzunehmen und die Geschichten so zu schreiben, dass sie einen fesseln können.
      In jedem Leben gibt es erzählenswerte Geschichten. Uns fehlt nur oft der Blick darauf. Ein Schreibtipp ist daher oft „führen Sie Tagebuch“ oder „Stellen Sie sich vor, sie seien jemand Fremdes, der heute ihren Tag beobachtet hat“. Manchmal auch „Nehmen Sie ein beliebiges Ereignis Ihres Lebens und betrachten Sie es ganz detailliert!“
      Wer erzählen kann, der findet eine Geschichte, die es zu erzählen Wert ist. Anders formulierte es die Band Kettcar: „Die guten Geschichten im Leben passieren aber immer auch nur denen, die sie erzählen können.“

      (3) Schreibe mit Feuer – Korrigiere mit Eis!

      Autoren machen sich gern schnell lächerlich. Wir schreiben mit Herzblut und legen unser Inneres bloß. Wir nennen unsere Ergebnisse „mein Baby“ oder „mein Kind“ und sitzen wie auf glühenden Kohlen, wenn ein anderer unser Buch liest. Wir warten auf Kritik und fühlen jedes schlechte Wort wie ein Dolchstoß in unsere Herzen. Woran liegt das? Weil wir sehr viel Zeit und Energie in das Werk investiert haben. Und wenn es fertig ist, dann geben wir es meist zwei Arten von Menschen: Lesern oder Autoren. Die Leser sagen rundheraus, was sie daran mögen und nicht mögen. Wenn sie uns mögen, dann überwiegt ersteres, weil sie uns nicht wehtun wollen. Wenn sie uns mögen und ehrliche Geister sind, kommt auch zweites mit hinein, aber leider sind sie nicht vom Fach und die Erfahrung lehrt, dass ihre Kritik uns selten weiter hilft. Meistens versteht man, was sie meinen, weiß aber nicht, wie man das Problem lösen kann und dann enden wir frustriert.
      Wird unser Baby dagegen von anderen Autoren kritisiert, hätte man genauso gut sein wirkliches Fleisch und Blut ein paar Hyänen zum Fraß vorwerfen können. Jeder Rechtschreibfehler wird akribisch aufgezeigt, jede kleine unlogische Handlungsfolge wird pointiert moniert.
      Diese Regel ist eine rein praktische: Wir schreiben so leidenschaftlich, dass Fehler unvermeidlich sind. Wir schreiben mit soviel Herzblut, dass Rechtschreibung für uns nur ein Hindernis ist und Kommasetzung eine unüberwindbare Hürde aus der verhassten oder gefürchteten Schulzeit. Fehler sind unvermeidlich. Der größte Profi hat sie in seinen Texten. Je ungeübter man ist, umso wichtiger ist es, das Werk nach Fertigstellung zur Seite zu legen, es ruhen zu lassen, uns davon zu distanzieren und dann selbst der erste Probeleser zu werden, der dann mit kühlem Kopf und einem gezückte Rotstift, sich ans Korrigieren macht. Mindestens Rechtschreibung, Zeichensetzung und Logikfehler (Stringenz genannt) sollten gefunden und ausgemerzt werden.

      (4) Wer sich ernsthaft mit Schreiben beschäftigen möchte, der sollte den Markt kennen.

      Damit meine ich: Wer Krimis schreibt, sollte andere Krimis kennen, um zu wissen, was ihn von anderen unterscheidet und was er mit anderen gemein hat. Wer SciFi schreibt, sollte sich mit SciFi auskennen. Man sollte die Verlage kennen, die vorzugsweise diese Art von Literatur verkaufen. Sollte andere Autoren kennen. Und sich bewusst sein, wer die Leser des eigenen Werks sein werden. Was werden sie erwarten, was werde ich ihnen bieten. Nichts ist peinlicher als ein Buch über eine Raumschiffschlacht zu schreiben und den Bösewicht Picard zu nennen, weil man den Namen so schön fand, nur um dann später zu hören: Du weißt schon, dass Picard ein großer Held aus dem Star Trek Universum ist?
      Wer voller Stolz von sich behauptet, er schreibe gern, aber er lese keine Bücher, dem sei geraten: Kann man machen, wird aber schwer.
      Spätestens bei der Bewerbung um einen Verlag kann ein kleiner Satz hilfreich sein, der dem Verleger verspricht: „Mein Buch ist vom Stil vergleichbar mit XY, allerdings erinnert die Handlung eher an eine Mischung aus YZ und GK.“
      Wenn man es selbst nicht sagt, werden es ohnehin irgendwann die anderen tun.
      „Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass sie an einen Marcel Proust des 21. Jahrhunderts erinnern?“ – „Marcel wer? Tut mir Leid, ich kenne mich mit französischen Fußballern nicht so aus.“