John Steinbeck

      John Steinbeck



      Zum 50. Todestag von John Steinbeck.

      „Warum sollte man John Steinbeck lesen? Sein Stil ist teilweise recht hart, findest du nicht?“

      Hart? Ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist.
      Er schreibt naturalistisch.
      Wenn es etwas Hässliches zu beschreiben gilt, dann beschreibt er es eben hässlich.
      So einfach ist das.
      Er hat den Nobelpreis bekommen für seine gleichermaßen realistische wie phantasievolle Erzählkunst. Was aber meisten beeindruckt, das sind seine Figuren. Die Protagonisten sind echte Menschen, leidende, die am Rand der Gesellschaft stehen und sich immer durchboxen müssen. Er ist so realistisch, dass man seine Werke in den USA auch aus Bibliotheken verbannt hat. Immer wieder gab und gibt es Diskussionen um seinen Schreibstil. Dabei sollten gerade die Themen seiner Werke ihn in die Bibliotheken hineinkatapultieren. Es geht ihm um soziale Ungerechtigkeiten, um die Abgründe der menschlichen Seele. Er schreibt wie ein amerikanischer Dostojewski sich Mitten in die Seele des Menschlichen hinein. Vielleicht ist das der Grund, warum in Amerika von seinen vielen Werken eigentlich nur die drei Spitzenwerke „Jenseits von Eden“, „Früchte des Zorns“ und „Von Mäusen und Menschen“ gelesen werden?
      Bleiben wir kurz bei letzterem.
      Es handelt sich um eine Novelle, die sich großer Popularität erfreut und nebst Broadway-Adaptionen auch Hollywood bereits zu eigen gemacht hat: Zwei Wanderarbeiter träumen von einem besseren Leben. Der eine, Lennie, ist groß, körperlich beinahe übermenschlich stark, geistig allerdings zurückgeblieben. Der andere, George, ist überdurchschnittlich klug. Die beiden stehen in einem sehr ungewöhnlichen Verhältnis zueinander. Einerseits sind sie beste Freunde, andererseits gesteht George von Anfang an, dass es anstrengend sei, immer auf Lennie aufzupassen. Die beiden beginnen auf einer Farm zu arbeiten, die von einem jähzornigen jungen Mann geführt wird, der gern Streit sucht. Der behinderte Lennie ist ihm von Anfang an ein gutes Opfer. Lennie ist eigentlich harmlos, aber er liebt es, weiche und zarte Sachen zu streicheln. Weil er seine eigene Kraft nicht kontrollieren kann, tötet er versehentlich einen Hund und wenig später die Frau des Farmers, die es gut mit Lennie gemeint hat und ihn hat trösten wollen.
      Lennie ist eine höchst eindringliche Figur. Seine Fehler sind schrecklich nachvollziehbar und so katastrophal sie auch sind, ist nicht er es, den wir fürchten. Steven King diente Lennie als Vorlage für viele seiner Charaktere, nicht zuletzt John Coffey aus „The Green Mile“.
      Überhaupt gibt es hier viele Parallelen bishin zu dem Schluss, in welchem der Freund den „Täter“ hinzurichten hat.
      Was das Werk zusammenhält ist aber nicht die soziale Geschichte selbst oder die Tragik, die zwischen Schuld, Verantwortung und Konsequenzen hin und her pendelt. Es ist der soziale Hintergrund des American Dream. Die Freundschaft zwischen Lennie und George ist unter den Arbeitern einzigartig. Alle sind sie Einzelkämpfer. Und alle träumen sie den gleichen Traum in verschiedenen Varianten. Man plant, dass man sich zusammentun könnte, so wie Lennie und George es vorleben. Allen individuellen Unterschieden und gesellschaftlichen Widrigkeiten zum Trotz könnte ein Kollektiv sich einen kollektiven Traum erfüllen. Aber genau dieser Zusammenhalt ist in Steinbecks Welt nicht aufrecht zu erhalten. Zu schwer wiegt das individuelle Schicksal im Kontrast zu den sozialen Unterschieden.
      Alle wollen nur das Schöne. Lennies Bedürfnis, etwas Zartes und Zerbrechliches in mit seinen Händen berühren zu können, ohne dass es zerbricht, ist nicht nur sein individueller Fluch. Es ist der Fluch Amerikas, der Fluch der Träumer. Tragischerweise damals wie heute.
      Ein Steinbeck hätte es so in Deutschland, vielleicht sogar in Europa nie geben können.
      Die Träume hier sind nicht so greifbar und angreifbar. Der „struggle“ nicht so staubschmutzig und hart.
      Die Tragik eines Flaschensammlers, der seine Rente aufbessert, hat eine andere Farbe als die eines Lennies und erst recht die eines George, der aus Freundschaft das soziale Lynchen verhindert, indem er selbst zum tötenden Märtyrer wird.
      Aber wer weiß schon, was Steinbeck aus den Straßen unseres heutigen Europas geformt hätte?