Weihnachtshelfer

      Weihnachtshelfer



      Als es an der Haustür klingelte, verfluchte Anastasia die High Heels, auf denen sie die Kellertreppe hinaufhastete, in der einen Hand eine leere Champusflasche, in der anderen ein leeres Tablett. Sie musste diesen Handwerker im Keller, der einen weiten Weg hatte, doch bei Laune halten, die Sauna sollte schließlich bis zu den Feiertagen fertig werden und hier in der Nähe wollte niemand mehr für sie arbeiten.
      »Mann, dieser Weihnachtshelfer ist aber superpünktlich«, dachte sie, stellte das leere Tablett auf eine Anrichte im Flur, versuchte mit der einen Hand irgendwie ihre Brüste zu verdecken, deren Pracht von der durchsichtigen Bluse nicht ohne Absicht feilgeboten wurde und öffnete mit der anderen die Tür.
      »Guten Tag, Frau Sorokina. Oh, bin ich zu früh?« fragte ein Mann mittleren Alters, der so durchschnittlich aussah, dass man ihn auf der Straße glatt übersehen würde.
      »Herr... Wie war doch gleich Ihr Name?«
      »Müller-Brockfeldt.«
      »Ach ja, der mit dem Doppelnamen.« Sie gickerte, aber nur leise. Schließlich war sie froh, auf dieses Angebot in ihrem Briefkasten gestoßen zu sein. Auf dem Werbeflyer stand, dass ein Weihnachtshelfer kommen wird, die Geschenke abholt, sie weihnachtlich verpackt und sie als Weihnachtsmann am Heiligen Abend verteilt. Und das alles völlig kostenlos. Anastasia konnte es kaum glauben, aber am Telefon versicherte ihr ein freundlicher Herr, dass es sich um eine Art Bürgerarbeit handele und nur ausgewählte, von Finanzamt und Polizei überprüfte Weihnachtshelfer mitmachen dürften.
      Wenn es darum ging, sich Arbeit zu ersparen, war die junge Frau mit den falschen roten Haaren immer an vorderster Front.
      »Kommen Sie doch herein! Dort hinten, auf dem Wohnzimmertisch liegen die Geschenke für meinen Freund und ein paar Familienangehörige. Ich zieh mir mal was über.«
      »Gut, ich habe eine Klappbox dabei.«
      Fünf Minuten später hatte Anastasia einen Pullover übergezogen und saß mit dem Weihnachtshelfer am Wohnzimmertisch.
      Er listete akribisch auf, was die Frau des Hauses als Geschenke bereitgelegt hatte und ließ sie plappern: »Die Breitling-Uhr ist für meinen Liebsten, der gönnt sich ja sonst nichts. Und ein Auto lässt sich so schlecht einpacken«, sie lachte gekünstelt, »Und hier eine Uhr von Louis Vitton für meine Schwester, ...«, in diesem Stil fuhr sie fort: ein Diamant-Armband für ihre Mutter, ein goldenes Smartphone für den Bruder und - natürlich durfte sie sich selbst nicht vergessen - ein Louis-Vuitton-Taschen-Set.
      Müller-Brockfeldt fragte nach: »Und das haben alles Sie gekauft? Wovon, wenn ich fragen darf? Haben Sie geerbt?«
      »Nein. Aber mein Freund hat mir eine eigene Kreditkarte ausstellen lassen.« Mit ihrem Blick deutete sie auf eine Schale auf der Anrichte. Mit seinem geschulten Auge konnte der Mann nicht nur einen Audi-Zündschlüssel erkennen, sondern auch eine schwarze Kreditkarte mit dem Schriftzug von American Express. »Ach, eine Platinum-Karte?«
      Sie straffte sich und bemerkte: »Ich habe das verdient.«
      Er lächelte. »Ja«, sagte er galant und bat sie, die Auflistung der Geschenke zu unter-schreiben. »Damit auch alles an den Richtigen gerät...«, fügte er hinzu.
      Sie setzte schwungvoll ihren Namen unter die Liste.
      »Und ich komme dann am Heiligabend. Ist Ihnen 18 Uhr recht?«
      Sie nickte gönnerhaft und begleitete ihn hinaus.

      Einige Tage später war der Tag der Geschenke gekommen. In der Villa des Unterneh-mers Schmidthardt saßen neben seiner deutlich jüngeren Freundin Anastasia auch deren Familienangehörige, die extra aus Russland angereist waren, am runden Esstisch. Nur mit Mühe hatten die sich mit Kartoffelsalat und Würstchen anfreunden können, doch es war das Leibgericht von Schmidthardt und auch Anastasia konnte ihn nicht zu Bliny und Kaviar überreden. Kaviar an Heiligabend? Das sei dekadent, bemerkte er.
      Die Verwandtschaft freute sich auf üppige Geschenke, schließlich war die Jüngste der Familie auf die Offerten eines älteren Mannes eingegangen. Und der hatte sie immer noch nicht geheiratet, also mussten - nach ihrem osteueropäischen Verständnis - Ge-schenke her, große Geschenke, Geschenke, die als Aufwandsentschädigung gelten konnten.
      Pünktlich um 18 Uhr klingelte es, der Hausherr öffnete die Tür. Ein Weihnachtsmann trat in die Villa, die zweite Person stellte er als seinen Assistenten vor. Die beiden hatten zwar Jutesäcke dabei, die sahen aber eher schlaff aus und nicht - wie erwartet - prall gefüllt.
      Der Herr im großen roten Mantel wünschte allen ein frohes Fest und reichte Anastasia eine Schachtel. «Bitte, das ist für Sie!«
      Sie lächelte und fragte: »Und die anderen? Sie haben doch noch mehr in ihrem Sack?«
      »Nein. Öffnen Sie zuerst Ihr Geschenk!«
      Anastasia schaute verunsichert auf ihre Mutter, die nickte, Bruder und Schwester be-gannen zu tuscheln. Sie öffnete die Schachtel. Ungläubig starrte sie auf das Stück Papier: »Was soll das sein? Wo sind die Geschenke?«
      »Lesen Sie!«, erwiderte der Weihnachtshelfer.
      Anastasia schüttelte den Kopf, legte den Zettel auf den Tisch und ging wütend einen Schritt auf den Mann zu, als wollte sie nach seinem Jutesack greifen. Doch Schmidthardt tauchte hinter seiner Freundin auf, nahm den Zettel in die Hand und las laut vor: »Quittung«. Dann verstummte er, las das Schriftstück, begann noch einmal von vorn und forderte dann: »Anastasia, sag was dazu!«
      Die Angesprochene presste die Lippen aufeinander, kreuzte die Arme vor der Brust und ließ sich in einen Sessel fallen.
      Schmidthardt sah den Rotbemantelten fragend an, der griff in die Innentasche seines Mantels und holte eine Visitenkarte hervor: »Müller-Brockfeldt, Privatermittler.«
      Schmidthardt nahm die Karte und sinnierte: »Hat Anastasia Schulden gemacht? Aber wie? Sie hat doch eine Karte ohne Limit...«
      »Anastasia Sorokina hat diverse Handwerkerrechnungen nicht bezahlt und dem Ge-richtsvollzieher erklärt, sie hätte keine finanziellen Mittel und kein Vermögen. Und da sie ledig ist, konnten er ihr bisher das Gegenteil bisher nicht beweisen.«
      »Ich kenne Sie gar nicht«, warf Anastasia kleinlaut ein.
      »Den Gerichtsvollzieher Tuchel, den kennen Sie ganz gut, er hat leider die Grippe. Wir arbeiten eng zusammen. Einige Ihrer Gläubiger haben mich engagiert. Ich hatte die Idee mit dem Weihnachtshelfer und Sie haben mir schön alles Nötige unterschrieben.«
      Anastasia stampfte mit dem Fuß auf, man hörte, wie eine Fliese »pling« machte. Die High Heels waren spitz wie ein kleiner Hammer.
      Schmidthardt las aufmerksam die Quittung für die eingezogenen Geschenke, dann fragte er: »Damit ist die Sache erledigt?«
      »Ja«, antwortete der Detektiv, »Es sei denn, ihre Freundin versucht die Tour noch ein-mal, dann geht die Sache zum Staatsanwalt.«
      Der ältere Herr nickte. Leise sagte er: »Sie ist keine Freundin.«
      Dann schüttelte er Müller-Brockfeldt die Hand: »Danke! Wenn es noch Fragen gibt, wenden Sie sich bitte gleich an mich.«
      Die zwei Weihnachtshelfer verabschiedeten sich und verließen die Villa.
      Schmidthardt ging ohne Worte und langsam die Treppe ins Obergeschoss hoch. Die Blicke mehrerer Personen verfolgten ihn gespannt. Auf der Galerie angekommen drehte sich der Mann um und sagte mit kalter Stimme: »In einer halben Stunde seid ihr alle verschwunden.«
      Anastasia wollte etwas sagen, doch er setzte nach: »Alle!«

      © Sabine Hennig-Vogel